„Der Jude von Schaffa“

Dokumentarroman

Kaum jemand im Waldviertel weiß, dass nur drei Kilometer von Langau bei Geras entfernt ein alter, jüdischer Friedhof existiert, dessen Geheimnis umwobene Grabsteine die Geschichte der Juden von Schaffa, dem heutigen Šafov, widerspiegeln.

Prior Andreas Brandtner vom Stift Geras entdeckte die verfallenen Stelen aus vergangenen Tagen, nachdem sie lange Zeit unbeachtet ihr Dasein fristeten.

Vierzig Jahre hindurch trennte der Eiserne Vorhang den Westen von diesem stillen „Haus der Ewigkeit“ im heutigen Tschechien. Über den unmenschlichen Todeswall und den malerischen Friedhof ist seither viel Gras gewachsen, im wahrsten Sinne des Wortes, und wenn nicht die Jugend beider Länder von Eurosola [i] darum bemüht wäre, die wackeligen Steine mit den hebräischen und deutschen Schriftzeichen hin und wieder vom Unkraut zu befreien, hätte sich die Natur wohl längst ihrer bemächtigt.

Jüdischer Friedhof in Schaffa/Šafov, Südmähren/Tschechien
www.jüdische-gemeinden.de/index…/gemeinden/s-t/1730-schaffa-maehre…

Die Begräbnisstätte in Schaffa ist wie alle Friedhöfe im Judentum ein „Haus des Lebens“ und wie alle Gräber der Israeliten waren diese einst für die Ewigkeit gedacht. Sie dürfen niemals aufgelöst werden und wurden auch in der Vergangenheit nie neu belegt. Schon seinerzeit, im 18. und 19. Jahrhundert, als die Judengemeinde noch hier lebte, trug man bei Bedarf aus Platzgründen nur eine Erdschicht auf und bestattete die Toten übereinander.

Die Juden von Schaffa, zu denen auch die Vorfahren der PolitikerInnen Dr. Herta Firnberg, Dr. Bruno Kreisky und Dr. Johannes Hahn zählten, gibt es nicht mehr, denn schon die meisten, für die dieser geschichtsträchtige Ort in Mähren gezwungenermaßen zur Heimat wurde, mussten den abgelegenen Markt aus wirtschaftlichen Gründen wieder verlassen. [ii] Als ihnen durch die Franz Josephs-Bahn und die Nordwestbahn die Lebensgrundlage entzogen wurde, gab es keine Perspektive mehr für sie, denn der Handel, von dem sie lebten, entwickelte sich ab nun entlang der Schienenwege. Die Bewohner des Judenviertels von Schaffa wanderten ab, viele davon ins angrenzende Waldviertel oder nach Wien. Nur die Toten blieben.

Sehr vereinzelt künden heute noch kleine Steinchen, die irgendjemand zum Gedenken an einen Ahnen auf seinen Grabstein gelegt hat, davon, dass dieser nicht ganz in Vergessenheit geraten ist. Um den Begräbnisplatz von Schaffa ist es mittlerweile still geworden, einer Judengemeinde, aus deren Vergangenheit ich euch hiermit die Mär von Mordechai, dem Pinkeltrager [iii], erzählen möchte…

Anmerkungen

[i] Ferienlager auf Initiative von Prior Andreas Brandtner von Stift Geras, Pfarrer von Langau, für Kinder- und Jugendarbeit hinsichtlich einer grenzüberschreitenden Zusammenarbeit. Siehe Vorwort zu: ŠAFOV- SCHAFFA /EUROSOLA, erhältlich bei SOLA Šafov und im Pfarramt Langau.

[ii] Zur Vertreibung der Juden aus Weitersfeld und deren Aufnahme durch Graf Maximilian Starhemberg, Gutsherr über Frain/Vranov nad Dyjí: Alfred Damm, Weitersfeld/Schaffa. Zur Geschichte einer jüdischen Landgemeinde an der mährischen Grenze in der Neuzeit. Eine Spurensuche, Wien 2012. Schaffa wurde auch durch den Kinofilm von Ulrich Seidl „Mit Verlust ist zu rechnen“ gewürdigt, der 1992 in Langau und Šafov unter beiderseitiger Beteiligung der Bevölkerung entstand.

[iii] In der zeitgenössischen Literatur auch fallweise „Pinkelträger“, alternativ mit „B“ oder „P“ geschrieben. Dasselbe gilt für das Wort „Pinkeljude“. Sämtliche kursiv geschriebenen Wörter außerhalb dieser Texte werden im Glossar erklärt.